Einleitung
Lebensdaten:
10.11.1887 - 18.10.1980
Beruf bzw. Ämter:
Jurist und Politiker; 1923-1924 2. Staatsanwalt beim Landgericht München I; 1926/27 abgeordnet ins Reichsjustizministerium in Berlin; 1933-1945 Senatspräsident beim Oberlandesgericht München; 1945 Staatssekretär im Bayer. Staatsministerium der Justiz; 1946-1966 MdL Bayern (CSU); 1946-1954 und 1960-1962 Bayer. Ministerpräsident; 1954-1960 Bayer. Landtagspräsident; 1962-1966 Bayer. Staatsminister der Justiz
Überlieferung, inhaltliche Bewertung und archivische Bearbeitung des Nachlasses
Mit Vertrag vom 6./8.7.1981 hart Frau Dr. Sieglinde Ehard den schriftlichen Nachlass ihres am 18.10.1980 verstorbenen Ehemanns dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv zugesprochen. Die Übergabe der umfangreichen Unterlagen erfolgte nicht auf einmal, sondern in 17 Teilabgaben in den Jahren 1981 bis 1990. Für die Übernahme und Verzeichnung der einzelnen Teilabgaben zeichneten verschiedene Bearbeiter verantwortlich: für die. 1.-10. Teilabgabe (1981-1984) Archivrätin Dr. Sylvia Krauß, für die 11.-14. Teilabgabe (1985-1987) Archivdirektor Dr. Ludwig Morenz und für die 15.-17. Teilabgabe (1988-1990) Archivrat Dr. Michael Stephan.
Die Verzeichnung des Nachlasses erfolgte sukzessive nach jeder Teilabgabe, wobei jede Archivalieneinheit auf einer Karteikarte festgehalten wurde. Die Verzeichnungskarten wurden fortlaufend mit einer vorläufigen Signatur versehen (zuletzt 2496 Nummern bzw. Archivalieneinheiten, zuzüglich ca. 350 gesondert verzeichnete Bücher und Broschüren). Durch diese Verzeichnung nach Teilabgaben entstanden entweder zu einem Betreff in der Regel mehrere Einheiten von variierendem Umfang (vom Stehordner bis hin zum einzelnen Schreiben) oder zahlreiche Sammelakten mit verschiedenen Betreffen. Die sich anschließende Strukturierung und Gliederung des gesamten Bestandes konnte sich deshalb nicht mit der bloßen thematischen Sortierung der Verzeichnugskarten begnügen. Vielmehr wurden bei der Durchsicht der vorläufigen Nummern viele Betreffe zu neuen Einheiten zusammengefasst, ein Großteil der Sammelakten thematisch sinnvoll aufgeteilt und zahlreiche Doppelstücke ausgesondert. Der Nachlass umfasst jetzt 1834 Nummern. Aus technischen Gründen ergabe sich zwei Leernummern (Nr. 1430 und 1599), bei acht Nummern mussten Unternummern mit a und b vergeben werden (Nr. 470, 614, 1016, 1017, 1117, 1180, 1319 und 1542); das ergibt insgesamt 1840 Archivalieneinheiten.
Der Nachlass wurde in drei große Abschnitte gegliedert. Im ersten, dem materialreichsten Abschnitt (Nr. 1-1104) steht grundsätzlich die Person Ehards im Vordergrund, wobei die einzelnen Gliederungspunkte sich nach verschiedenen Kriterien richten: nach Sachbegriffen (z.B. Familie, Repräsentation), nach Funktionen (z.B. juristische Tätigkeit) oder nach Archivaliengattungen (z.B. Korrespondenz, Bildmaterial, Tondokumente). Der zweite Abschnitt des Nachlasses (Nr. 1105-1712) ist rein alphabetisch nach Sachbetreffen geordnet (von Auerbach-Affäre bis Wirtschaft). Der dritte Abschnitt (Nr. 1713-1834) enthält eine bloße Materialsammlung von Drucksachen, die zwar von Ehard gesammelt worden sind, bei denen sich äußerlich (z.B. durch handschriftliche Vermerke) kein Bezug zum Nachlasser oder zu einem Sachthema herstellen ließ.
Nach Abschluss von Verzeichnung und Ordnung des Nachlasses wurde der gesamte Bestand neu durchnummeriert (zu bestellen: NL Ehard + Nr.). In der einschlägigen Literatur wurde zwar bislang nach den vorläufigen Nummern zitiert, mit Hilfe der beigegebenen Konkordanzlisten kann aber die jetzt gültige Bestellnummer ermittelt werden.
Der Erschließung des Nachlasses dient ein Orts- und ein Personenregister. Die Schlagworte der Register erfassen aber nur die Orts- und Personennamen, soweit sie im Betreff oder im Enthält-Vermerk verzeichnet sind. Daher sind z.B. bei der chronologisch geordneten Korrespondenz (Nr. 187-446), darunter die umfangreiche Glückwunschpost, viele Korrespondenzpartner über das Register nicht zu erfassen. Auf ein Sachregister wurde verzichtet, da der Nachlass im zweiten Abschnitt (Nr. 1105-1712) bereits alphabetisch nach Sachbetreffen geordnet ist.
Der Nachlass Ehard übertrifft nicht nur mit seinem Umfang von 42 laufenden Metern alle anderen Nachlassbestände im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, sondern auch mit einer inhaltlichen Dichte, die beispielhaft für diese Archivaliengattung erscheint. Da das ausführliche Inhaltsverzeichnis allein schon diese Komplexität widerspiegelt, mögen hier einige Hinweise auf besondere Aktengruppen genügen.
Private, persönliche und familiäre Unterlagen (Nr. 1-87) dokumentieren den Werdegang des Juristen lückenlos. Aus seiner Zeit als II. Staatsanwalt, als er mit den Ermittlungen nach dem Hitlerputsch vom 9.11.1923 beauftragt war, finden wir außerdem im Nachlass (und zwar nur noch dort überliefert) die Vernehmungsprotokolle Ludendorffs und Hitlers (Nr. 94) sowie in zwei voluminösen Bänden alle Sitzungsprotokolle des Hitlerprozesses von Anfang 1924 (Nr. 96). Ehards Handakten als Staatssekretär unter Ministerpräsident Wilhelm Hoegner (Nr. 124-132) zeigen seine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau der bayerischen Justizverwaltung nach 1945. Die reichhaltigen Materialien über Ehards Arbeit im Vorbereitenden Verfassungsausschuss vom 8.3. bis 24.6.1946 (Nr. 1628-1631) und dann im Verfassungsausschuss der Verfassungsgebenden Landesversammlung (Nr. 1632-1645) belegen, dass Ehard zu Recht zusammen mit Hoegner zu den Vätern der bayerischen Verfassung gezählt wird.
Aus seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident (seit 21.12.1946) ist die Überlieferung am dichtesten. Da er den gut funktionierenden Apparat der Bayerischen Staatskanzlei nutzen konnte, waren auch die Akten aus dieser Zeit am besten vorgeordnet. Gerade an der umfangreichen, alphabetisch geordneten Korrespondenz der Jahre 1946-1954 (Nr. 187-194) und 1960-1962 (Nr. 201-206) kann exemplarisch die Entstehung von Nachlassgut dokumentiert werden. Die meisten Briefe weisen zwar den Eingangsstempel der Staatskanzlei auf; durch Ehards eigenhändigen Vermerk "P" oder "Pe" (für persönlich) gelangten diese Schreiben nicht in die amtliche Registratur, sondern verblieben im Büro des Ministerpräsidenten. Nach Ende seiner Amtszeit verwahrte er diese Handakten, die auf diesem Wege zu Nachlassgut wurden, zu Hause.
Ähnlich handelte Ehard, der von 1949 bis 1955 auch CSU-Landesvorsitzender gewesen war, bei parteibezogener Korrespondenz: Dort findet sich neben dem Eingangsstempel der Staatskanzlei der eigenhändige Vermerk "CSU". Da aus der Frühzeit der CSU auch im Archiv für christlich-soziale Politik in der erst 1966 gegründeten Hanns-Seidel-Stiftung nur wenige Parteiunterlagen überliefert sind, kann die sogenannte CSU-Korrespondenz Ehards zusammen mit dem Schriftgut verschiedener CSU-Gremien (Nr. 1188-1286) auch als Ersatz für die Akten der Landesleitung dienen.
Ehards Reden sind als Entwürfe, Typoskripte, in hektographierter oder gedruckter Form lückenlos überliefert (Nr. 625-697). Durch die chronologische Verzeichnung lässt sich fast so etwas wie ein Itinerar des Ministerpräsidenten erstellen
Der Nachlass enthält neben den juristischen Publikationen Ehards (v.a. Nr. 88-89 und Nr. 135-137) alle seine gedruckten Veröffentlichungen seit 1947: Zeitungsartikel, eigenständige Aufsätze sowie einfache Geleit- und Grußworte (Nr. 698-705). Terminkalender, Tage- und Notizbücher, autobiographische Aufzeichnungen (Nr. 711-715) sowie die zahllosen Aktenvermerke, die sich vor allem bei den sachthematisch geordneten Unterlagen (ab Nr. 1105) finden, lassen zusammen mit der Korrespondenz den Entstehungsprozess und die Hintergründe politischer Entscheidungen deutlich werden. Für die Kommentierung und Bewertung z.B. der Ministerratsprotokoole (Nr. 1458-1485) wird der Nachlass eine unerlässliche Quelle darstellen.
Neben der landespolitischen Bedeutung Ehards spiegelt der Nachlass auch seine Mitwirkung bei der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland wider, insbesondere bei der föderalistischen Ausgestaltung des Grundgesetzes (Nr. 1143-1176). Ein eigener sachthematischer Abschnitt im Nachlass belegt, wie Ehard über den Bundesrat, dessen Institutionalisierung im wesentlichen seiner Intitiative zu verdanken ist, die Rechte der Länder gegenüber der Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer vertreten hat (Nr.1121-1141).
Nach diesen Hinweisen auf einige inhaltliche Schwerpunkte noch ein Wort zur Vielfalt des Nachlasses auch in materieller Sicht. Es überwiegen die zum Teil bereits genannten schriftlichen Unterlagen. Daneben ist das überaus reichhaltige und chronologisch geordnete Bildmaterial (Einzelfotos bzw. Fotoalben) zu erwähnen (Nr. 716-852); dazu kommen einige wenige Plakate (Nr. 853-857) sowie Film- (Nr. 858-861) und tondokumente (Nr. 862-874). Auch einige gegensätnliche Objekte gehprden zum Nachlass, meist Orden und Auszeichnungen (Nr. 447-500), aber auch Geburtstagsgeschenke und Erinnerungsstücke (Nr. 551-564). Die 20 Sammelmappen (Nr. 875-894), in denen Annelore Ehard über ihren Mann Zeitungsausschnitte, Fotos, Reden, Einladungen, Programme (s.a. Nr. 566-578) und anderes Material eingeklebt hat, wurden unverändert belassen, wobei bei vielen Stücken eine Doppelüberlieferung in Kauf genommen werden musste. Diese Sammelmappen bilden zusammen mit den seit 1945 chronologisch geordneten Presseausschnitten über Ehard, die - von Dr. Sieglinde Ehard gesammelt - bis zum Jahr 1992 reichen, eine einzigartige und fast lückenlose Dokumentation dieser Persönlichkeit.
Dr. Michael Stephan
August 1996