Quellen:
Staatsarchiv Amberg, Spruchkammer Regensburg II Meldebögen Sch 539 (Spruchkammermeldebogen Oskar Schindler, 1946).
Staatsarchiv München, Spruchkammerakten Karton 842, Dr. Friedrich Kartini, Mitorganisator der Widerstandsbewegung „Freiheitsaktion Bayern“ (Spruch und Aussage von Dr. Rupprecht Gerngross, Anführer der „Freiheitsaktion Bayern“, 1946).
Staatsarchiv München, Spruchkammerakten Karton 1316, Johann Pfeuffer, Kriminalinspektor bei der Geheimen Staatspolizei (Zeugenaussagen und Spruch, 1947–1953).
Staatsarchiv München, Spruchkammerakten Karton 1743, Michael Schwingenschlögl, Richter am Sondergericht München 2 (Todesurteil des Sondergerichts München 2 unter Vorsitz Schwingenschlögls, Ablehnung eines Gnadenerweises, Zeugenaussage, Spruch, 1944).
Anknüpfungspunkte:
Wie wirkte sich die Herrschaft der Nationalsozialisten in Bayern und meinem Heimatort aus? Wer waren Täter, Mitläufer, Opfer der Nazizeit? Wie wurde die NS-Zeit nach 1945 in Bayern aufgearbeitet? Wie kann ich mehr über die Entnazifizierung in Bayern herausfinden?
Mit der bedingungslosen Kapitulation vom 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg und die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland. Bayern wurde gemäß dem Potsdamer Abkommen der Siegermächte Teil der US-amerikanischen Besatzungszone. Neben dem Wiederaufbau stand für die Militärregierung die Entnazifizierung Bayerns auf der Agenda: belastete Personen sollten aus ihren Ämtern entfernt und ihrem Verhalten während der NS-Herrschaft gemäß bestraft werden. Nach einer ersten Phase mit Verhaftungen und teils pauschalen Entlassungen wurde am 5. März 1946 das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus verabschiedet, das für alle Länder unter amerikanischer Besatzungshoheit galt.
Nach diesem sogenannten Entnazifizierungsgesetz wurden alle früheren Mitglieder der NSDAP sowie ihrer Nebenorganisationen registriert. Die betroffenen Personen wurden in fünf Belastungsgruppen eingestuft:
I. Hauptbeschuldigte
II. Belastete
III. Minderbelastete
IV. Mitläufer
V. Entlastete.
Zur Registrierung musste jede Person, die älter als 18 Jahre war, einen Fragebogen der Militärregierung ausfüllen – den Spruchkammermeldebogen. Neben persönlichen Angaben und dem beruflichen Werdegang (die Angaben entsprechen einem heutigen Lebenslauf) musste angegeben werden, wann der Eintritt in die NSDAP und deren Nebenorganisationen erfolgte und welchen Rang der Betroffene innehatte. Außerdem mussten der Verdienst und das Vermögen genau beziffert werden.
Unter all den überlieferten Spruchkammermeldebögen findet man auch die Bögen von Oskar und Emilie Schindler. Beide erlangten durch den Film „Schindlers Liste“ Berühmtheit. Während der NS-Zeit rettete das Ehepaar viele Juden durch eine Beschäftigung in seiner Fabrik vor der Deportation. Die Schindlers lebten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Regensburg und wurden dort auch entnazifiziert.
Die Fragebögen Belasteter wurden an die eigens für die Entnazifizierung bei den Amtsgerichten eingerichteten Spruchkammern weitergereicht, die die Entnazifizierungsverfahren durchführten. Die Spruchkammern wirkten weitgehend selbständig und unabhängig gegenüber Weisungen der Militärregierung. Berufungskammern entschieden über Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Sprüche.
Im Gegensatz zu heutigen Strafverfahren galt die Unschuldsvermutung nicht: der als belastet Eingestufte konnte versuchen, sich durch Aussage und Benennung von Zeugen zu entschulden. Die Spruchkammern ermittelten zudem selbst und suchten nach glaubwürdigen Zeugen. Dadurch konnte sich die Spruchkammer ein vollständiges Bild von den Handlungen und Motivationen der Beschuldigten machen. Als eindeutig entlastet konnte beispielsweise der Rechtsanwalt Dr. Friedrich Kartini angesehen werden, der 1937 die NSDAP verließ und sich an der Widerstandsbewegung „Freiheitsaktion Bayern“ beteiligte. Schwieriger war die Einstufung bei langjährigen Parteimitgliedern oder Berufsbeamten. Waren sie überzeugte Nationalsozialisten, übten sie lediglich ihr Amt unter Druck pflichtgetreu aus oder engagierten sie sich im Rahmen ihrer Dienstausübung für einzelne Opfer? Dem leitenden Gestapo-Beamten Johann Pfeuffer beispielsweise kamen zahlreiche Aussagen von Verfolgten zugute. Andere Opfer der NS-Herrschaft schilderten ihn dagegen als hartherzig und obrigkeitshörig. Die Spruchkammer berücksichtigte letztlich die zahlreichen entlastenden Aussagen und stufte ihn als minderbelastet ein. Ein Urteil, über das man sicher streiten kann.
Breite Schichten in der Gesellschaft lehnten die Entnazifizierungsmaßnahmen ab, was sich auf die Aussagen vor den Kammern und deren Tätigkeit auswirkte. So wundert es nicht, dass sich die amerikanische Militärregierung empört über die Entscheidungen der Spruchkammern in den ersten sechs Monaten zeigte: nur 6,9 % wurden als belastet, und von diesen 75 % in die Klasse der Mitläufer eingestuft. Trotz der Androhung der Militärregierung, eigene Maßnahmen zur Entnazifizierung zu ergreifen, änderte sich an den unrealistischen Quoten nur wenig. Im Gegenteil: ab 1947 verlor auch die amerikanische Militärregierung zunehmend das Interesse an der Entnazifizierung. Angesichts des aufkommenden Gegensatzes zur kommunistischen Sowjetunion sollte vielmehr der Wiederaufbau Bayerns im Fokus stehen. In diesem Zusammenhang ist auch die gescheiterte Entnazifizierung des Münchner Richters Michael Schwingenschlögl zu sehen, der trotz verhängter Todesurteile von der Spruchkammer begnadigt wurde. Später machte er im bayerischen Justizdienst Karriere.
Die schriftliche Überlieferung der bayerischen Spruchkammern gelangte über die Amtsgerichte in die Obhut der Staatlichen Archive Bayerns. Heute werden diese Dokumente in den Staatsarchiven verwahrt und sind zentrale Quellen zur Erforschung der NS-Zeit in Bayern.
Lehrplanbezug:
Methodenkompetenz, Urteilskompetenz, Orientierungskompetenz,
Bayern-Identität, Staatsgebiet und kulturelles Erbe (Gymnasium, Klasse 8), Rechte des Menschen gestern und heute (Gymnasium, Klasse 9), Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg (Gymnasium, Klasse 9), Demokratie und Diktatur – Problem der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert (Gymnasien, Klasse 11/12)
Weiterführende Hinweise
Paul Hoser, Entnazifizierung, publiziert am 5.2.2013. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL:
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Entnazifizierung (2.8.2018).
https://www.bavarikon.de/object/bav:GDA-OBJ-00000BAV80000048?cq=schindler&p=-1
Veronika Diem, Freiheitsaktion Bayern (FAB), publiziert am 22.4.2015. In: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Freiheitsaktion_Bayern_(FAB) (20.05.2019).