Einleitung
Im vorliegenden Findbuch werden 329 Archivalien der Provenienz "Ritterkanton Mittelrhein" aufgeführt. Diese waren bisher im Bestand "Aschaffenburger Archivreste" unter den Signaturen Fasz. 151/XXIII bis Fasz. 172/LXXXIII sowie Fasz. 342/II (Ämter) zugänglich gemacht. Da der Bestand "Aschaffenburger Archivreste" ein Konglomerat von vielen Provenienzen ist, wurden die Herauslösung der Akten und die Bildung eines provenienzreinen Bestandes notwendig.
Die Reichsritterschaft:
Auf dem Reformreichstag zu Worms im Jahr 1495 wurde das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zuerst in sechs, 1512 in zehn Reichskreise geteilt. Diese fungierten als Mittelstelle zwischen den einzelnen Reichsständen und dem Kaiser. Auf den Kreistagen waren alle Stände vertreten, die auch Sitz und Stimme auf dem Reichstag hatten.
Neben dem Königreich Böhmen waren nur noch die niederadeligen Ritter nicht von der Eingliederung in die Reichskreise betroffen.
Die Reichsritterschaft hat ihre Anfänge im ausgehenden Mittelalter. Im Jahr 1422 gestattete Kaiser Sigimund Adelseinigungen. Als bekanntes Beispiel ist hierbei etwa die schwäbische Gesellschaft St. Jörgenschild zu nennen. 1495 verweigerten die Ritter die Zahlung des "Gemeinen Pfennigs", der dem Reichstag zu Worms beschlossen wurde. Mit den Mitteln aus dieser Abgabe an den Hof des Kaisers sollten Söldnerheere für anstehende Kriege mit Frankreich und den Türken finanziert werden. Die reichsunmittelbaren Ritter zogen es vor, durch persönlichen Militärdienst ihre Treue zum Kaiser zu beweisen. In der Forschung wird das Jahr 1542 als das Geburtsjahr der Reichsritterschaft angesehen, weil der letzte Vorstoß, die Ritterschaft in die Reichskreise einzugliedern, scheiterte.
1577 wurde eine Vereinigung für das gesamte Reich aus dem rheinischen, fränkischen und schwäbischen Ritterkreis geformt. Das Generaldirektorium wechselte in regelmäßigen Abständen. Durch den Erlass einer schwäbischen (1560), fränkischen (1591) und einer rheinischen (1651) Ritterordnung war die selbständige Organisationsstruktur abgeschlossen.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurden die Ritterordnungen reichsrechtlich anerkannt.
Grundsätzlich war die Reichsritterschaft tolerant gegenüber den beiden christlichen Konfessionen. So konnten die Religionsgemeinschaften meist friedlich nebeneinander auskommen.
Bereits in den 1540er Jahren bildeten sich innerhalb der Ritterkreise Viertel oder Orte heraus. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Bezeichnung Kanton gebräuchlich.
Der schwäbische Ritterkreis umfasste die Kantone Donau, Hegau-Allgäu-Bodensee, Neckar-Schwarzwald, Kocher und Kraichgau.
Der fränkische Ritterkreis in Franken bestand aus den Kantonen Altmühl, Baunach, Gebürg, Odenwald, Rhön-Werra, und Steigerwald.
Die Kantone Oberrhein, Mittelrhein und Niederrhein bildeten den rheinischen Ritterkreis.
Da Ritterkonvente, Vollversammlungen aller in einen Kanton ansässigen Ritter, eher selten waren, wurden ein Direktorium und Ausschüsse an einem festen Sitz gebildet, die die Leitung des Kantons übernahmen.
Mit dem Frieden von Preßburg in Jahr 1805 war die endgültige Mediatisierung der Reichsritterschaft beschlossen. Spätestens seit dem Rücktritt des Kaisers im August 1806 gilt die reichsunmittelbare freie Reichsritterschaft als aufgelöst. Der Wiener Kongress 1814/15 sah nicht vor, die Souveränität der Reichsritter wiederherzustellen.
Der Ritterkanton Mittelrhein:
Der Ritterkanton Mittelrhein als einer der drei rheinischen Kantone hatte seinen Sitz auf der Burg Friedberg im heutigen Wetteraukreis in Hessen. Die Adresse der Reichsritterschaft lautete:
"Deren Reichsfrei hoch- und wohlgeboren Herren, Herrn Hauptmann, Räten, Ausschuss der unmittelbaren freien Reichsritterschaft mittelrheinischen Kreises diesseits Rheins in der Wetterau und zugehörigen Orten, unseren geehrtesten Herrn Vettern , Schwagern und Oheims. Burg Friedberg "
Wie viele Familien dem mittelrheinischen Ritterkreis inkorporiert waren, ist leider nicht bekannt.
Der Ritterkanton Mittelrhein war vornehmlich Verwaltungsbehörde. Außerdem war er für die ritterschaftlichen Untertanen Appellationsinstanz für die niedere Gerichtsbarkeit und erste Instanz bei Anklagen und Beschwerden gegen die ihm zugehörigen adeligen Familien, die über einen besonderen Gerichtsstand verfügten.
Die generell schlechte finanzielle Situation der Mitgliedsfamilien in den Ritterkantonen führte auch im Ritterkanton Mittelrhein des Öfteren zu Unruhen und Untertanenprozessen gegen ihren Ortsherren.
Mit der Auflösung des Alten Reichs wurde formell auch der Ritterkanton Mittelrhein aufgelöst. Jedoch lässt sich über das Jahr 1806 hinaus eine Abwicklungsbehörde auf der Burg Friedberg nachweisen. Erst in den Jahren 1807/08 wurde das Gebiet des Kantons Mittelrhein den umliegenden größeren Staatskörpern einverleibt.
Das Gebiet verteilte sich auf das Großherzogtum Hessen, das Fürstentum Aschaffenburg, das Herzogtum Nassau, das Fürstentum Isenburg und das Großherzogtum Berg. Aus diesem Grund lassen sich weitere Unterlagen des Ritterkantons Mittelrhein in den Staatsarchiv Darmstadt, dem Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und im Landesarchiv NRW, Abteilung Westfalen, finden.
Bestandsgeschichte:
Am 4. April 1807 trafen sich Abgesandte der Nachfolgestaaten (Hessen, Hessen-Nassau, Aschaffenburg, Berg) des Ritterkantons Mittelrhein auf der Burg Friedberg, um über die Verteilung des ritterschaftlichen Archivs und der Registratur zu beraten. Dort wurde beschlossen, dass der Hauptbestandteil der Registratur beim Großherzogtum Hessen verbleiben sollte. Somit gelangte das Fürstentum Aschaffenburg nur an Unterlagen über Gebiete, in denen sie Hoheitsrechte ausübten. Diese wurden sodann in das dortige Archiv integriert.
1814 fiel das Fürstentum im Zuge der Neuordnung Deutschlands an das Königreich Bayern. Zwischen 1819 und 1831 wurde der Großteil der in Aschaffenburg lagernden Archivalien (z.B. Schriftgut des Vizedomamts Aschaffenburg oder Teile des Mainzer Regierungsarchivs, die 1792 nach Aschaffenburg geflüchtet wurden) nach Würzburg bzw. München gebracht.
Der in Aschaffenburg verbliebene Rest, darunter die Akten des Ritterkantons Mittelrhein, blieb unberührt, wurde aber auch nicht als archivunwürdig erklärt. Durch den Lyzealprofessor Schneidawind erfuhren die Akten in den Jahren zwischen 1846 und 1858 eine Neuordnung nach Sachgruppen. 1860 wurde der Bestand auf Anordnung der Regierung von Unterfranken an das Archiv in Würzburg verbracht. Dort wurde der Bestand seitdem als "Aschaffenburger Archivreste" geführt.
Im deutsch-deutschen Krieg von 1866 unterlag Bayern an der Seite von Österreich gegen das Königreich Preußen. Das Bezirksamt Gersfeld und Teile des Bezirksamts Orb in Unterfranken sowie die Exklave Kaulsdorf mussten an Preußen abgegeben werden. Bei der Übergabe von einschlägigen Archivalien an den neuen Landesherren wurden vor allem Urkunden abgegeben. Der Aktenbestand der Aschaffenburger Archivreste blieb außer Acht. Dies erklärt, warum sich die meisten der in Würzburg verwahrten Akten des Ritterkantons Mittelrhein auf heute hessische Gebiete beziehen.
Aufgrund weiser Voraussicht und frühzeitiger Auslagerung des Bestands sind keine Kriegsverluste im Zweiten Weltkrieg eingetreten.
Bestandsgliederung:
Leider ließen es die in Würzburg verwahrten Unterlagen des Ritterkantons Mittelrhein nicht zu, die ursprüngliche, auf der Burg Friedberg verwendete Registraturordung zu rekonstruieren. Die im Bestand enthaltenen Repertorien beinhalten nur eine Teilauswahl der Akten eines bestimmten Ortsbetreffs.
Auf den Akten lassen sich zwar mehrere verschiedene Registraturvermerke finden, allerdings ergibt sich daraus kein geschlossenes Bild. Am Häufigsten sind Vermerke von Majuskeln vorhanden, die sich wohl auf einen im Betreff genannten Namen beziehen. So weist der Vermerk "Lit. F." auf einen Bezug zur freiherrlichen Familie Forstmeister von Gelnhausen hin.
Es wurde deshalb versucht anhand der unterschiedlichen Kompetenzen des Ritterkantons eine Gliederung der Akten vorzunehmen. Dabei wurde sich am Verzeichnis für den Ritterkanton Rhön-Werra beim hessischen Staatsarchiv Marburg von Dr. Hans Philippi orientiert.
Als Besonderheit können fünf Akten angesehen werden, die wohl aus der Handregistratur des ritterschaftlichen Syndicus Tabor stammen. Auf diesen Akten fehlen sämtliche Registraturzeichen, außerdem sind die Akten lediglich in einen Umschlag eingelegt und nicht geheftet, wie es bei Registraturgut des Kantons Mittelrhein Reichsritterschaft üblich war.
Verzeichnungsgrundsätze:
Im Betreff der Archivalien wurden die orthographischen Besonderheiten vergangener Tage verbessert und in die heute übliche Sprache überführt. Eine buchstabengetreue Abschrift erfolgte bei den Registraturzeichen, die unterhalb des Betreffs angegeben sind.
Bei jedem Akt ist zudem noch die alte Signatur aus dem Bestand "Aschaffenburger Archivreste" angegeben.
Aufgrund der zum Teil sehr langen Namen der im Akt genannten Personen wurde zumeist auf die vollständige Namensnennung verzichtet. Allerdings wurde darauf geachtet, dass eine eindeutige Identifizierung der Personen möglich bleibt.
Sollte aus dem Akt eine genaue Identifizierung einer Person nicht möglich gewesen sein, wurde der Familienname allgemein angegeben. So lassen sich im Register Einträge wie "Schleifras, Freiherr von" finden. Sollte der Vorname nicht feststellbar gewesen sein, aber eine Funktion, ein Beruf oder sonstige Eigenschaft, so wurde diese dem Namen beigefügt.
Johannes Stoiber, Archivinspektor