Einleitung
Der Bestand bildet die stark dezimierte Überlieferung zu zwei zentralen Behörden des frühneuzeitlichen Nürnberg ab. Das Kirchenamt entstand 1528 im Zusammenhang mit der Reformation und war für die Regelung kirchlicher Angelegenheiten im Sinne des Rates zuständig und diesem direkt unterstellt. Das Amt stand unter der Leitung des Obersten Kirchenpflegers, der im Laufe der Zeit eine Fülle weiterer Funktionen übernahm, die eng mit dem Vormundamt verschränkt waren (s.u.).
Die Aufgaben des Kirchenamtes betrafen u.a. Anordnungen für Gottesdienste und Feiertage, Pfarrbesetzungen, Kirchenzucht und Aufsicht über das Kirchengut, Leitung von Kirchenversammlungen sowie die Aufsicht über die theologische Ausbildung der Geistlichen.
Das Vormundamt erwuchs im Laufe des 16. Jahrhunderts aus der Funktion der vom Rat bestellten "Obersten Vormündern Witwen und Waisen". Es war für alle Angelegenheiten der Vormundschaft für Witwen und Waisen, des Nachlasses sowie alle im Zusammenhang mit Erbschaften stehenden Vermögensangelegenheiten zuständig, wie sie sich aus Testamenten und Erbverträgen ergaben. In dieser Funktion ließ das Amt auch Inventare und Vermögensverzeichnisse erstellen und sollte die Vollziehung von Bestimmungen in Testamenten veranlassen. Zusätzlich hatte es auch schiedsgerichtliche und jurisdiktionelle Kompetenzen inne, so dass es als eine Art Vormund- und Nachlassgericht wirkte.
Kirchen- und Vormundamt wirkten seit dem späten 16. Jahrhundert als Aufsicht über den Bereich der einfachen und höheren Schulen sowie der Hohen Schule bzw. Universität Altdorf. Auch in Vorgänge der Zensur von Druck- und Buchgewerbe waren beide Ämter eingebunden, die Entscheidung lag beim Obersten Kirchenpfleger.
Laufzeit des Bestandes: 1462-1864
Archivalieneinheiten: 2043
Bestandsbildung
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde aus den um mindestens 95% ausgedünnten Akten des seit 1808/1809 nicht mehr bestehenden "Königlich-Bayerischen Kirchen- und Vormundamtes" der Bestand "Kirchen- und Vormundamt" gebildet. Das so betitelte Amt war erst 1806 durch die Zusammenlegung des Kirchenamtes, das bis zu diesem Zeitpunkt im ehemaligen Augustinerkloster untergebracht war, und des Vormundamtes im Parterre des Fünferhauses (Rathaus), entstanden (StAN, Rst. Nbg., Kirchen- und Vormundamt, Nr. 9: Anregung zur Reform durch die Kaiserliche Subdelegation, 1801, Nr. 10 Zur versuchten Vereinigung der Geschäfte, 1806)
Nach 1808 gingen die Aufgaben und Geschäfte der Behörde an das Konsistorium des Generalkommissariats in Ansbach über, soweit Kirchenangelegenheiten betroffen waren (Vgl. StAN, Regierung von Mittelfranken, Kammer des Innern, Abgabe 1900, Nr. 224-269.. )
Die vormundamtlichen Geschäfte übernahm das Stadtgericht (ab 1817 Kreis- und Stadtgericht, ab 1857 Bezirksgericht), die Aufgabe der Zensur seit 1806 die Polizeidirektion.
Die Akten des ehemaligen Bestandes "Kirchen- und Vormundamt" (Rep. 25) weisen eine Laufzeit von 1576 bis 1864 auf, wobei der Schwerpunkt auf den Jahren 1775-1806 liegt. Überwiegend ist hier Kirchenamtliches enthalten. Darüber hinaus ist das Aufgabengebiet der für deutschen, lateinischen und die höheren Schulen zuständigen Scholarchen deutlich auszumachen. Insgesamt ist wohl durch die in Personalunion zusammengelegte Leitung mehrerer Ämter zu beobachten, dass die Registraturen schon vor der offiziellen Vereinigung sowohl formal als auch inhaltlich ineinanderflossen. So setzten Kirchen- und Vormundamt spätestens seit dem 18. Jahrhundert oft die gleichen Schreiber ein. Auch thematisch gibt es enge Überschneidungen. Ein Repertorium aus dem Jahr 1778, das die Akten des Vormundamtes aus vier Schubladen aufführt, enthält überwiegend eigentlich kirchenamtliche Titel.
1806 erfolgte mit dem Übergang der Reichsstadt Nürnberg an das junge Königreich Bayern der nochmalige Anstoß auch einer Reform des Ämterwesens. Dabei sollten die Geschäfte des Kirchenamts und des Vormundamts vereinigt werden, das Amt erhielt den Titel Königlich-Bayerisches Kirchen- und Vormundamt. Bei der Zusammenlegung der beiden Registraturen gab es einerseits räumliche Probleme, da das Vormundamt im Fünferhaus saß und dort aufgrund seiner eigenen, umfangreichen Registratur nur wenig Platz zur Verfügung hatte. Schließlich erstritt sich das Amt einen Raum im Dachgeschoss, den zuvor das Stampfamt besetzt hatte und zwischenzeitlich das Rugamt unrechtmäßig in Beschlag genommen hatte. Andererseits befanden sich zahlreiche kirchenamtliche Akten noch in der Privatwohnung des verstorbenen Kirchenamtsschreibers Hausmann. Der erste Nürnberger Staatsarchivar Johann Sigmund Friedrich Fürer von Haimendorf, Sohn des Ratsherrn und Kirchenpflegers Sigmund Friedrich Fürer von Haimendorf (1743-1814), sollte die Herauslösung der Stücke besorgen.
Das veraltete Findbuch (Nr. 25) führte ursprünglich (1. Hälfte 19. Jahrhundert) 275 Archivalieneinheiten auf, von denen 25 schon Ende des 19. Jahrhunderts fehlten. Weitere 44 Objekte fehlten im Mai 2015, 22 davon durch Abgaben an das Stadtarchiv in den Jahren 1889 und 1907.
2015/2016 wurde an dem Bestand "Kirchen- und Vormundamt" (Rep. 25) eine Provenienzanalyse durchgeführt. Im Zuge einer damit verbundenen neuen Formierung des Bestands floss die vormundamtliche Überlieferung in Form des Bestandes "Rst. Nbg., Stadtgericht, Testamente" mit ein. Er wurde im Sommer 2015 von Frau Johanna Dietz retrokonvertiert und enthält 1252 Nürnberger Testamente aus dem 15. bis 19. Jahrhundert, zahlreiche Inventare, Erbverträge und Vermögensverzeichnisse, sowie 18 Amtsbücher und zahlreiche Sachakten, die 1862 aus dem Bezirksgericht an das Staatsarchiv gelangten. Die Überlieferung muss jedoch als sehr stark ausgedünnt gelten.
In den neuen Bestand "Kirchen- und Vormundamt" flossen außerdem rund 250 Archivalieneinheiten aus dem Auffangbestand "Nürnberger Archivalien" ein, deren vormundamtliche Provenienz Herr Gunther Friedrich 2007 erschlossen hat.
Der ehemalige Bestand "Rst. Nbg., Nürnberger Lateinschulen" (vormals Rep. 25a) mit nur elf Archivalieneinheiten wurde zuständigkeitshalber in den Bestand Rst. Nbg., Kirchen- und Vormundamt vollständig eingegliedert. Ebenso wurde der Bestand "Rst. Nbg., Ratstotenbücher" (vormals Rep. 65/II) dem Vormundamt aufgrund der übereinstimmenden Provenienz vollständig eingegliedert.
Korrespondierende Bestände in anderen Nürnberger Archiven:
Stadtarchiv Nürnberg:
Der Bestand B 5, Kirchen- und Vormundamt umfasst insgesamt etwa sechs lfm. Er ist in vier Teilbestände gegliedert und reicht bis in das frühe 16. Jahrhundert zurück. Der Teilbestand B 5/II "Kirchen- und Vormundamt/Akten" nimmt darin mit vier lfm den Hauptteil ein. Er enthält ausschließlich kirchenamtliche Belange aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Im Bestand B 14, Stadt-, Bauern- und Untergericht sind im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit zahlreiche Testamente, Legate und Erbverträge abschriftlich in den großen Amtsbuchserien der "Libri litterarum" (B 14/I) und der "Libri conservatorii" (B 14/II) überliefert. Der Bestand B 14/III "Sonstige Gerichtsbücher" enthält darüber hinaus drei Bände mit Testamentsabschriften aus der Zeit von 1529 bis 1699 und sechs Bände mit Inventaren aus dem Zeitraum 1529 bis 1586.
Landeskirchliches Archiv:
Im Bestand "Vereinigtes Protestantisches Kirchenvermögen", der im 19. Jahrhundert gebildet wurde, findet sich im späten 15. Jahrhundert einsetzende, umfangreiche Überlieferung des Kirchenamtes, z.B. zur Verwaltung der Kirchenstühle und zu Pfründen- und Kirchenstiftungen, sowie des Konvertiten- und Grabstättenamtes, insbesondere zu den Friedhöfen St. Rochus und St. Johannis.
Kirchenangelegenheiten
In der Zeit vor der Reformation hatten die Propsteien St. Sebald, St. Lorenz, die Frauenkirche und verschiedene Klöster je einen vom Rat gestellten Kirchenpfleger, der die Aufsicht über den Kirchenbesitz und dessen Verwaltung führte. Ihm stand für die eigentliche Verwaltung von Gütern und Einkünften der Kirchenmeister zur Seite. Nachdem durch die Reformation die Kirchenvermögen mit dem Almosenamt vereinigt worden waren, trat an die Stelle der speziell deputierten Kirchenpfleger der Oberste Kirchenpfleger, der zugleich Amtsvorstand des 1528 gegründeten Kirchenamtes war. Dieses war dem Inneren Rat direkt unterstellt, mit Ratsverlass wurden Einzelfragen entschieden. Die Geschäfte des Kirchenamtes und des Vormundamtes, zweier Ämter mit ursprünglich getrennten Registraturen, überschnitten sich in der Person des Obersten Kirchenpflegers, der spätestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zugleich Vorderster Vormundherr ("Ephor") war. Seit 1590 war der Oberste Kirchenpfleger in seiner Funktion als Oberster Vormundherr regelmäßig auch Oberalmosenpfleger, seit 1620 auch Vorstand des Grabstättenamts, seit 1658 des Konvertitenamts.
Dem Obersten Kirchenpfleger oblagen dem Wesen nach summepiskopale bzw. im Verein mit den anderen Herren Kirchenpflegern oder ab 1570 den beiden "Kirchenherren" konsistoriale Aufgaben wie die Leitung von Kirchenversammlungen, die Aufsicht über die theologische Ausbildung, die Ausgestaltung, Verlegung und Organisation von Gottesdiensten und Feiertagen, die Besetzung der Pfarreien und die Kirchenzucht im engeren Sinne, also die Überwachung der Einhaltung religiöser Gebote durch Einzelne. Auch die Fürsorge um das Kirchengut und die Kontrolle über die kirchlichen Zeremonien bei Taufen, Hochzeiten und Begräbnissen zählten hierzu.
Vormundschafts- und Nachlassangelegenheiten
Die Aufgaben der Vormundherren oder auch "Obersten Vormündern Witwen und Waisen", die der Rat im Jahr 1507 für Vormundschafts- und Nachlassangelegenheiten einrichtete, hatten zuvor schon seit 1399 zwei vom Rat deputierte "Oberste Vormünder" versehen. Sie sollten die Aufsicht über die Bestellung von Vormundschaften, über die Inventarisierung des Vermögens von Mündeln (Pupillen) und über Vermögensteilungen führen. Auch der Vollzug des letzten Willens fiel in ihr Aufgabengebiet. Die Registratur bestand aus einem Schreiber, der u.a. die jeweiligen Sitzungen am Dienstag, Donnerstag und Samstag protokollierte. Hinzu kamen ein Kassier, ein Registrator und ab dem 17. Jahrhundert der Steinschreiber des Grabstättenamtes. Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte das Vormundamt seinen Sitz im Fünferhaus.
Seit dem 16. Jahrhundert waren die vier Vormundherren jedoch auch als schiedsgerichtliche und streitige Instanz tätig. Die Erledigung der schiedsgerichtlichen Geschäfte hat sich vor allem in einer Amtsbuchserie des Stadtgerichts niedergeschlagen, den sog. "Libri conservatorii" (StadtAN, B 14/II), wo u.a. Vormundschaftsangelegenheiten dokumentiert wurden. 1801 wurden die Amtsgeschäfte des Vormundamtes deshalb durch die Kaiserliche Subdelegation vehement in Frage gestellt. Der Bericht erklärt: "Wenn je eine Stelle einer Verbesserung bedarf, so ist es das hiesige Vormundamt." Denn die Behörde habe ihre eigentlichen Aufgaben nicht wahrgenommen, sich dafür aber "durch gesetzwidrige Ausweitung ihrer Berufssphäre" Kompetenzen angemaßt und damit Amtsmissbrauch begangen. Insbesondere die Tätigkeit des Amtes in der streitigen Gerichtsbarkeit und die Inventarisierung des Vermögens von in Nürnberg verstorbenen Fremden wurden kritisiert, da es sich dabei herkömmlich um Angelegenheiten des Stadtgerichts handle. Das Vormundamt widersprach diesen Vorwürfen erwartungsgemäß scharf und legte seine hergebrachten Rechte und Gerechtsame ausführlich dar. Nachweislich entfremdete das Amt im 18. Jahrhundert hinterlegte Mündelgelder, um den drohenden Bankrott des Stadtstaates aufzuhalten.
Schulen und Hohe Schule Altdorf (Scholarchat)
Seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts versahen drei sog. Scholarchen unter der Aufsicht des Obersten Kirchenpflegers die Aufsicht über das Schulwesen. In der Regel waren sie zugleich Vormundherren. Die Funktion hatte sich Ende des 16. Jahrhunderts durch die Aufsicht über die Akademie in Altdorf herausgebildet. Seit 1622 waren die Scholarchen zugleich Kuratoren der Universität Altdorf. Der Oberste Kirchenpfleger war dabei zugleich vorderster Scholarch und vorderster Kurator der Universität.
Im Bereich des Schulwesens befassten sich die Scholarchen mit Schulordnungen, dem Prüfungswesen sowie mit der Ernennung und Besoldung der Lehrer. Auch die Vergabe von Stipendien überwachten sie. Im Bereich der Universität standen die Stellenbesetzung und organisatorische Entscheidungen, Visitationen und repräsentative Pflichten im Vordergrund.
Zensur
Mit der massenhaften Verbreitung von Druckschriften führte man Anfang des 16. Jahrhunderts in Nürnberg Zensurbestimmungen ein, geplante Druckwerke mussten vom Buchdrucker dem Inneren Rat zur Genehmigung vorgelegt werden. Die bedeutende Aufgabe der Überwachung lag im Ressort des Obersten Kirchenpflegers. Theologen aus dem Kirchenamt bzw. Scholarchat begutachteten die Werke. Ursprünglich zielte die Zensur darauf ab, dezidiert alle Schriften zu unterbinden, die der Ehre Gottes und der orthodoxen Religion abträglich waren. Dieser Bereich weitete sich seit dem 17. Jahrhundert auf die politische Zensur aus und ging allmählich ganz in diese über. Mit der Zeit weitete sich das Zensurwesen zudem von der Überwachung des Buchdrucks auf die auch des Buchhandels aus.
Der etwa bis zum Jahr 1650 reichende Bestand Reichsstadt Nürnberg, Ratskanzlei, B-Laden, Akten enthält ebenfalls einige einschlägige Titel zum Thema Zensur.
März 2016
Dr. Antonia Landois